Der Kleine Prinz - Übersetzungsprobleme
Übersetzung des Kleinen Prinzen
Bei der eigenen Übersetzung vom Kleinen Prinzen hatte ich einige Schwierigkeiten zu bewältigen. Hier einige Beispiele:
'Große Leute' oder 'Erwachsene'?
Im Originaltext vom Kleinen Prinzen empfinden die Kinder les grandes personnes nicht selten als aufgeblasene und unverständige Wesen.
Es ist unzweifelhaft, dass 'les grandes personnes' 'die Erwachsenen' sind. So im gängigen Sprachverständnis. Hätten die Leitgebs, die die erste deutsche Übersetzung des Kleinen Prinzen gefertigt haben, konsequent mit 'die Erwachsenen' übersetzt, so hätte vielleicht keiner die Frage, die im Blogtitel aufgeworfen wird, gestellt. Die Leitgebs haben, eher absichtlich als inkonsequent, mal mit 'die Erwachsenen', mal mit 'die großen Leute' das Französische wiedergegeben.
Wie oft der Fall, wer zuerst kommt, mahlt und isst zuerst. Die Leitgebs haben Generationen von Germanen gewöhnt, den Kleinen Prinzen so zu lesen, dass die wohl gar nicht falsche Übersetzung 'die Erwachsenen' ziemlich fahde klingt, obwohl die Leitgebs selbst den Ausdruck mit werwenden. Sie haben aber dazu 'die großen Leute' erfunden, und seitdem, ob in Büchern oder Zitaten, auf Bühnen oder CDs, beten die Fans des Kleinen Prinzen den deutschen Text auf diese Weise mit nach.
'Die großen Leute' klingt aber außerhalb des Kontextes vom Kleinen Prinzen komisch, deshalb die Frage, ob die Empörung der Sprachpuristen berechtigt ist, die an 'die Erwachsenen' festhalten wollen.
Jede gute Sprachübersetzung sollte auch eine gelungene Sinnübertragung sein. Das versuchen die Leitgebs sehr oft in ihrer Übertragung vom Kleinen Prinzen. Manchmal gelingt es ihnen sehr gut, manchmal weniger gut. Bei diesem Beispiel würde ich meinen, dass sie ein gutes Gespür hatten. Denn sie sehen die Erwachsenen, also die grandes personnes von der Perspektive des kleinen Prinzen und der kleinen Persönchen: der Kinder, die oft den Blick nach oben richten müssen, um den Erwachsenen, die so wichtigtun, in die Augen zu sehen, auch wenn sie sie nicht selten 'komisch' und 'seltsam' empfinden. Die Entscheidung, 'les grandes personnes' mit 'die großen Leute' zu übersetzen, war gar keine schlechte. Sie klingt aber nicht nur auf Anhieb, sondern auch nach all den hier angestellten Überlegungen, wie eine plumpe wörtliche Übersetzung des Originals.
Aus diesen Gründen schlage ich in meiner eigenen Übersetzung die Diktion 'die Grossen'. Sie nimmt auf die vermuteten Überlegungen der Leitgebs Rücksicht und macht die zurecht vermutete psychologische Empfindungen der Kinder sogar deutlicher. Alternativ, wenn 'die Großen' unpässlich erscheint, lasse ich die 'Erwachsenen' zur Geltung kommen. Es gibt wohl eine Stelle in der Widmung, da wird 'une grande personne' erwähnt, es handelt sich wohl um Léon Werth, der keinesfalls ein aufgeblasener Pilz wie der Geschäftsmann ist, sondern ein Erwachsener, der sogar Kinderbücher versteht. Es gib also solche und solche 'grandes personnes' im Kleinen Prinzen. Bei der zweiten Ausgabe habe ich einige Stellenschärfer unter die Lupe genommen und einige 'Erwachsene' in 'die Großen' korrigiert.
Die Boa, ihre Beute und andere kleine Übersetzungsschwierigkeiten
Boa wird von Leitgeb mal mit 'Boa' mal mit 'Riesenschlange' übersetzt. Ich halte die Diktion 'Boa' durch. Den Grund erkennen wir später.
Das französische Wort fauve, das Tier, das die Boa unzerkaut verschlingt, wird von Leitgeb mit 'Wildtier', von Elisabeth Edl mit 'wildes Tier' wiedergegeben. Beides mag korrekt sein. Mich stört dabei der Ausdruck 'wild'. Weil nicht nur das Tier gemeint ist, das auf dem Wildhege läuft. Es wird suggeriert, dass das Tier selbst 'wild' ist, und was wild ist, ist nicht ganz in Ordnung: Es muss gezähmt oder gefressen werden. Enzensberger übersetzt etwa ganz abwegig und m. E. falsch mit 'wildes Biest'. Das 'wilde Biest' ist nach meiner Kenntnis der Gedankengänge von Saint-Exupéry nicht die Beute, sondern die Boa.
Das erste Bild im Kleinen Prinzen, das aus einem Dschungelbuch stammt, suggeriert, dass die Erde ein Dschungel ist, in dem der Stärkere Recht hat. Dieser erste Gedanke, den uns Saint-Exupéry mitgibt, und zwar unmittelbar nach der Widmung an Léon Wert, auch er ein Opfer wie die unzerkaute Beute der Boa, müsste in der Übersetzung von fauve irgendwie vorkommen. Fauve bedeutet auch 'Beutetier', was mir aber vom Sound her, besonders wegen der Nähe zum Beuteltier, nicht so richtig gefallen will. Diese Deutung des Wortes fauve legt sich aber nahe: Einige Zeilen später wird geschildert, dass die Boas ihre 'Beute' unzerkaut verschlingen. Ich habe mir erlaubt, das Wort 'Beutetier' mit einem partizipialen Ausdruck wiederzugeben: das von ihr (von der Boa) erbeutete Tier. Ich finde, dass diese Bedeutung die richtige ist. Siehe auch den Begriff 'Baobab'.
Baobab wird sowohl von den Leitgebs als auch von Edl mit 'Affenbrotbaum' wiedergegeben, was selbstverständlich richtig ist. Ich lasse auch in der deutschen Übersetzung durchgängig das Wort Baobab stehen. Baobab ist der Baum, der sich des Planeten bemächtigen und ihn sprengen kann. 'Baobab' besitzt eine allitterarische Nähe zu der 'Boa'. Und dies hilft meinem Instinkt, sich vor beiden in Acht zu nehmen.
Ganz schwierig finde ich die Übertragung des französischen Ausdrucks Champignon (Kap. VII). Man wird sagen, nichts leichter als das. Aber das deutsche Wort 'Champignon', das sich hier prima vista anbieten würde, hat im Kontext keinen Sinn. Leitgebs übersetzen mit 'Schwamm'. Das macht Sinn, übersetzt das französische Wort aber nicht. Elisabeth Edl übersetzt mir 'Fliegenpilz', weil dieser Pilz rot wird wie der Herr, der von sich immer behauptet, er sei ein ernsthafter Mann. Enzensberger übersetzt mit 'Bovist', was eher den Sinn vermittelt, dass der Mann, von dem die Rede ist, ein Wichtigtuer ist. Das kommt meinem Verständnis des Kontextes näher, hat aber den Nachteil, dass nicht alle wissen, was ein Bovist ist. Mein Vorschlag ist: aufgeblasener Pilz. Das gibt den Sinne des Kontextes wieder wie 'Bovist' und ist unmittelbar verständlich.
Petit bonnhomme wird von einigen mir 'kleiner Kerl', 'Kerlchen'... Beim ersten Vorkommen fand ich die Bezeichnung 'Knirps' sehr lustig, wenn man bedenkt, wie der kleine Prinz so mitten in der Wüste auftritt. Dann variiere ich, je nach Kontext.
Jaja, die 'Negerkönige' (Kap. XVII) scheinen nicht mehr statthaft zu sein, sie sind political incorrect, wie man sagt. Auch bei Pippi Langstrumpf musste der Ausdruck das Feld räumen. Dabei besitzt der Ausdruck bei Saint-Exupéry durchaus Witz. Frau Edl gibt den französischen Ausdruck rois négres mit 'Mohrenkönig' wieder, was mir durchaus ein guter Kompromiss erscheint.
Der Geograf: Ist er ein Gelehrter, wie bisher das Wort savant übersetzt wurde? Natürlich ja, aber ein Savant ist ein Mensch, der Weiß (wo Meere und Berge sind, weiß aber nicht, ob es auf seinem Planeten welche gibt). Und das 'Wissen' soll beim Wort, das savant wiedergibt, mit klingen. Ich schlage vor: 'Wissenschaftler'. Mit dem Geografen wird somit auch ein Archetyp vorgestellt und auf die Schippe genommen.
'Sich vertraut machen' oder 'Bindungen schaffen'?
Und was heißt auf Deustch "apprivoiser"?
Eine zentrale Stelle des Kleinen Prinzen (Kap. XXI), in der der französische Ausdruck 'apprivoicer' verwendet wird, ist nicht einfach zu übersetzen. Grete und Josef Leitgeb haben den Ausdruck mit 'zähmen' wiedergegeben.
Die Schwierigkeiten sind zunächst sprachlich, dann aber durchaus kulturell begründet. Auch das Wort 'zähmen' ist nicht ohne. Denn es handelt sich hier schon um eine deutsche Übersetzung, die einiges impliziert: Zähmen setzt voraus, dass ein Mensch oder (eher) ein Tier ungezähmt ist. Bei einem Wüstefuchs geht man eher davon aus, obwohl unser Fuchs gar nicht so wild ist und eher die Weisheit verkörpert als das Wilde. Der Fuchs kann jedoch nicht mit dem kleinen Prinzen spielen, denn er war noch nicht apprivoisé. Da zeigt sich die Grenze der Sprache. Der Prinz versteht nicht, und zwar nicht nur, weil er kein Französisch kann. Er ist ein Alien, er kommt aus einem anderen Planeten, wir würden sagen, aus einer anderen Kultur.
Auf Französisch kann apprivoiser folgendes bedeuten: domestizieren, zähmen, sozialisieren, aber auch: sich (einander) gewöhnen, sich annähern, familiär werden, sich vertraut machen und sogar: verführen.
Enzensberger übersetzt den Ausdruck mit 'ein Haustier' sein oder werden. Enzensberger läuft damit in der falschen Richtung. So wie ich den Fuchs kenne, legt er keinen Wert darauf, ein Haustier zu werden. Das ist meine Meinung. Im Übrigen ist Enzensbergers sprachliche Umgestaltung des Kap. XXI, in dem sich sehr viele berühmt gewordene Texte befinden, m. E. misslungen. So wie ich die meisten Rezensionen kenne, teilen nicht wenige diese Meinung.
An der Stelle des kleinen Prinzen hätten wir auch nachgefragt, was der Fuchs mit 'apprivoiser' meinte. Der Fuchs versucht es auf zwei Weisen: mit einer Handlungsbeschreibung und einer neuen Definition.
Die Handlung besteht in einer fortschreitenden Annäherung. Der kleine Prinz soll zunächst dort bleiben , wo er ist, und sich vom Fuchs verstohlen anschauen lassen. Am nächsten Morgen und an jedem weiteren Tag darf er ein wenig näher rücken, bis die Annäherung oder Familiarisierung vollzogen ist. Das deutsche Wort 'zähmen' nimmt also nicht alle Bedeutungsnuancen mit. Zähmen, unterstellt man dem Ausdruck sogar die größtmögliche symbolische Valenz, passt nicht gut zu der Aussage "Es gibt eine Blume... ich glaube, sie hat mich gezähmt" und noch weniger zu "man kennt nur die Dinge, die man zähmt."
Der Prinz wäre nicht der Prinz, hätte er seine Frage vergessen: Was heisst denn apprivoiser? Und da muss der Fuchs es wieder mit einer neuen Definition versuchen, natürlich in seiner Sprache, auf Französisch: créer des liens.
Grete und Josef Leitgeb, die ersten Übersetzer des Kleinen Prinzen, übersetzten créer des liens mit sich vertraut machen und damit wurden sie im ganzen deutschsprachigen Raum berühmt, weil ihre Übersetzung angenommen und gern benutzt wurde. Diese Diktion trifft auch die Mitte des Kontextes und verleiht dem Text die im Kleinen Prinzen so oft gesuchte emotionale Dimension.
Das Problem besteht darin, dass sich vertraut machen einige Sinnelemente von créer des liens nicht wiedergibt. Der französischer Ausdruck unterstreicht doch die Entstehung von Bindungen während der Annäherungsversuche, und sie sind in 'sich vertraut machen' vorderhand nicht zu sehen. Aus diesem Grund übersetzt etwa Elisabeth Edl mit 'Bindungen schaffen'. Diese Übersetzung ist wiederum ziemlich frei von Emotionen, sie klingt eher wie eine technische Beschreibung. Zudem wird das ein klein wenig emotional geladene Wort 'Bindung' von der schwäbischen Tugend des 'Schaffens' in die falsche Ecke gedrängt. Und 'Bindungen' sind nicht eindeutig positiv geladen. Es gibt Bindungen, die einengen und nicht unbedingt das Glücksgefühl des 'sich vertraut machen' verleihen.
Meine ideale Lösung wäre von vornherein gewesen, apprivoiser mit sich vertraut machen, vertraut sein zu übersetzen. Mit sich vertraut machen hatten die Leitgebs die richtige Intuition, sie übersetzten allerdings nicht apprivoiser, sondern créer des liens. Ich habe versucht alle Stellen, an denen apprivoiser vorkommt, mit sich vertraut machen, vertraut sein wiederzugeben: Da und dort war die deutsche Wiedergabe gut, aber nicht überall. An einigen Stellen wird es holprig. Zudem wird der semantische Doppelsinn, der im Wort 'zähmen' mitschwingt verloren. Deshalb habe ich in der ersten Ausgabe apprivoiser doch mit 'zähmen' wieder gegeben, créer des liens aber mit 'sich verbunden fühlen.
Der Versuch habe ich wiederholt, als ich im Jahr 2018 meine Übersetzung mit einigen Korrekturen neu herausbrachte. Sie wollte mir zuerst nicht gelingen, aber mit einigen Varianten denke ich, die richtige Lösung gefunden zu haben.
Mein Vorschlag ist nun : für apprivoiser werden Variationen von 'sich vertraut machen', 'vertraut sein', 'vertraut werden' verwendet. Für créer des liens wird wieder 'sich verbunden fühlen' verwendet.
Gegenvorschläge sind sehr erwünscht.